Der Rhythmus des Lebens
Die Rhythmen der Salsamusik drangen durch die sternklare Nacht und das Zirpen der Grillen hörte man trotz allem heraus. Es war warm und schwül, aber die Menschen tanzten trotzdem in einem Lokal Namens „Atelier la“. Mitten in einem Sumpfgebiet lag dieser Geheimtipp der Einheimischen. Meist war der Laden am frühen Abend überfüllt. Viele junge Touristen mischten sich hier mit Ansässigen und bewegten ihre Körper exzessiv zu dem Rhythmus der Musik. Das Ambiente besaß etwas Einzigartiges. Die Tanzfläche befand sich im Innenhof des Gebäudes. Die gut vierhundert Menschen die darauf passten genossen den Blick in die Nacht. Auf Balkonen, die alle zu der Innenseite gerichtet waren, ging das bunte Treiben weiter. Allein auf einem Balkon, der Einzige in der oberen Etage, war ausgeschlossen von diesem Tanz. Kein Licht ließ erkennen, wer genau da stand. Man erkannte eine Silhouette. Die Person schien nicht sonderlich groß zu sein. In der rechten Hand hielt er eine Zigarette. Die Glut zeigte, dass diese grau und faltig war. Die Fingernägel waren gelb und aufgesprungen.
Der Salsarhythmus ließ die Menschen immer wilder tanzen, doch schien dies bei diesem Mann nicht anzukommen. Sein Name, Peter Stark ihm gehörte das Atelier la. Jeden Abend blickte er von seinem Balkon hinunter, ohne irgendwelche Regungen zu zeigen. Meist schaute er den Menschen eine Stunde zu und ging dann wieder zurück in sein Büro. An diesem Abend war es anders. Er schaute im Schatten gehüllt auf die Tanzfläche und hatte dabei nur eine Person im Auge. Ein Mann, so Mitte zwanzig hatte sein Interesse geweckt. Das mittellange aschblonde Haar hing durchnässt vom Schweiß hinab. Er war unrasiert, was ihn aber nur noch interessanter machte. Er war mittlerweile verzaubert von der Musik und hatte sein T-Shirt ausgezogen. Schweißperlen rannen seinen muskulösen Oberkörper herunter. Der Mann tanzte engumschlungen mit einer sehr attraktiven dunkelhäutigen Frau. Das krause Haar von ihr hing ebenfalls vom Schweiß durchtränkt hinab. Der enge weiße Top zeichnete ihre schönen Brüste ab und die schmale Taille, die in eine wohlgeformte Hüfte überging. Sie trug einen dünnen Stoffrock und ihr Becken bewegte sich gekonnt darunter.
Lange schaute Peter ihnen zu. Ob er dabei erregt war, vermochte man nicht zu sagen.
Gerade so konnte man erkennen, dass er sich umdrehte und zur Balkontür ging. Ein Stock in der anderen Hand stützte ihn. Er blieb stehen und zog an seiner Zigarette. Die Glut glomm auf und man konnte das dünne schüttere Haar auf seinem Hinterkopf sehen. Er pustete röchelnd den Rauch aus. Die Schemen zeigten, dass er nach rechts und links blickte.
„Bringt ihn mir!“, sagte Peter mit einer verkratzten dünnen Stimme.
Jetzt erst erkannte man zwei Schatten, die neben der Balkontür gestanden hatten. Wortlos bewegten sie sich hinein und verschwanden.
Langsam ging Peter in sein Büro und setzte sich in seinen hohen großen Sessel. Er nahm etwas aus der Schreibtischschublade, doch konnte man nicht erkennen, was es war. Er erlaubte sich einen erneuten Zug an der Zigarette, doch war sein Blick aus dem Fenster hinter dem Schreibtisch gewandt und man konnte nur noch die hohe Lehne des Stuhls erkennen. Am Horizont sah man Blitze, die weit entfernt aufloderten.
Solange hatte er gesucht und jetzt hatte er das Opfer erkannt. Doch es musste schnell gehen. Er durfte keine Zeit mehr verlieren, denn er wusste, dass der Sand in der Sanduhr fast verronnen war.
Eine Tür öffnete sich und die zwei Schatten drückten den jungen Mann von der Tanzfläche hinein.
„Was soll das, Ihr Affen?“, sagte er wütend. Dann blickte er sich im Büro um.
„Setzten sie sich bitte, junger Mann“, sagte Peter und blies eine Ladung Rauch aus.
„Wer sind sie und was wollen sie von mir?“
„Beruhigen sie sich und nehmen sie Platz. Ich werde ihnen alles erklären.“
„Wieso sollte ich das? Ich weiß ja noch nicht einmal, mit wem ich hier rede.“
„Mein Name ist Peter Stark und ich bin der Besitzer dieses Etablissement und gerne hätte ich gewusst, wie ihr Name ist. Aber bevor ich meinen Anstand vergesse. Sicher wollten sie etwas trinken.“
Peter ließ seinen Stock zweimal fest auf den Boden knallen und sofort öffnete sich am anderen Ende des Raums eine Tür und eine leicht bekleidete blonde Frau kam herein. Dem jungen Mann fiel zuerst gar nicht der Drink in ihrer Hand auf. Zu sehr war er von ihrer Figur angezogen. Die Frau stellte den Drink auf den Schreibtisch und zwinkerte ihm zu. Der Mann lächelte lustvoll.
„Mein Name ist Viktor Bauer“, sagte er und setzte sich hin.
„Also Viktor wir verstehen uns“, sagte Peter und hustete.
„Das würde ich, aber ich verstehe nicht, warum ich hier sitze.“
„Weil ich sie warnen möchte.“
„Aha. Vor was denn?“
„Ich habe sie beobachtet, wie sie mit dieser rassigen Schönheit getanzt haben. Sie stellt eine Gefahr für sie dar, Viktor.“
„Ich bitte Sie. Die einzige Gefahr, die ich bei dieser Frau sehe, ist, dass ich zu früh komme“, sagte Viktor frei heraus.
Peter zog an seiner Zigarette und pustete lachend den Rauch heraus.
„Bei dieser Frau werden sie nie zum Zug kommen. Bei ihrer ganzen Schönheit haben sie nämlich ihre Begleiter übersehen. Vier bullige Kerle, die Stiernacken besitzen wie sie ein Kreuz. Wenn sie mit dieser Frau mein Lokal verlassen, werden diese Männer sie überwältigen.“
„Was für einen Quatsch erzählen sie denn da? Die Frau will mich, das können sie mir glauben, so etwas spüre ich“, sagte Viktor selbstsicher.
„Sagt ihnen der Begriff Voodoo etwas?“
„Kommen sie“, grinste Viktor verschmitzt. „Verarschen kann ich mich selbst. Fangen sie nicht an jetzt über Puppen zu reden, denen man Nadeln in den Körper steckt.“
„Wissen sie, was ein Loa ist?“, fragte Peter und zog anschließend an seiner Zigarette.
„Eine neue Droge oder ein anderer Mist. Was weiß ich? Hören sie warum erzählen sie mir das. Ich könnte jetzt schon mit dieser heißen Braut im Bett liegen. Warum halten sie mich auf?“
„Vielleicht weil ich ihnen helfen möchte. Ich war in der gleichen Situation wie sie und niemand half mir. Mit viel Glück konnte ich entkommen.“
Etwas in Peters Stimme überzeugte Viktor, zu bleiben.
„Na schön ich höre mir an was sie zu sagen haben. Vielleicht ist ja was Wahres dran.“
„Das höre ich gerne. Also gut.“
Es folgte ein kräftiger Zug an der Zigarette.
„Ich war so in ihrem Alter, vielleicht etwas jünger, doch voller Tatendrang. Ich war in der Stadt und hatte genauso wie sie ein sehr schönes Tanzlokal entdeckt. Natürlich wusste ich nicht, dass die Voodoojünger ihre Opfer gerne in solchem Ambiente suchten. Wieso auch? Wir waren zu dritt. Ein Mann zwei Frauen. Gibt es nichts Schöneres“, Peter lachte krächzend. »Wie gesagt Peter, Tyra und Keisha, das glorreiche Trio. Wir tanzten die ganze Nacht gemischt mit hochprozentigen Getränken. Das wir es damals nicht auf der Tanzfläche trieben war alles. Doch die Nacht neigte sich dem Ende, und wir beschlossen gemeinsam zu Keisha, zu gehen. In Gedanken schon bei einem noch größeren Höhepunkt, als die Nacht bereits war, verließen wir das Lokal. Wir waren kaum zehn Meter gegangen, da spürte ich einen harten Schlag im Genick und ich war bewusstlos.“
Peter gönnte sich wieder einen Zug und hielt kurz die Stille.
„Als ich meine Augen aufschlug sah ich etwas Groteskes. Ein großes Lagerfeuer brannte in der Mitte einer Lichtung und um dieses Feuer tanzten Menschen. Halb nackt bewegten sie sich völlig in Trance. Ein Mann sang dabei leise und monoton. Er tanzte nicht wie die anderen, sondern ging langsam um das Feuer. Sein Gesicht war zu einem Totenschädel geschminkt und ein schwarzer Zylinder zierte seinen Kopf. Er trug einen schwarzen Frack und darunter nichts, doch waren auf seinem Oberkörper Zeichen zu erkennen, die mit Blut geschrieben waren. So etwas hatte ich bisher noch nie gesehen, doch ich wusste, was für eine Person dies war. Es war ein Voodoopriester. Ich war nackt an ein Kreuz gefesselt welches, wie ein X aufgestellt war. Die anderen ebenfalls. Sie hatten nicht nur uns drei entführt, sondern noch einen Mann, den ich nicht kannte. Der Tanz wurde immer intensiver und der Sprechgesang dieses Voodoopriesters immer energischer. Aber ganz abrupt hörten sie auf und es war still. Ich glaube sogar, dass man von jedem einzelnen Gefangenen das Herz schlagen hörte, denn die Angst stand jedem ins Gesicht geschrieben. Der Priester ging weiter im Kreis. In seiner Hand hielt er ein absurd anmaßendes Zepter, an deren Spitze ein Schrumpfkopf gesteckt war. Mit diesem Zepter zeigte er auf jeden Einzelnen von uns. So als würde er jemanden aussuchen. Meine Brust hob sich schwer atmend, als er damit auf mich zeigte. Das geschminkte Gesicht schien einen bösartig anzugrinsen, obwohl der Priester den Mund geschlossen hatte. Meine Brust senkte sich vor Erleichterung, als er weiter machte. Dann blieb er auf dem Mann stehen. Länger als bei mir. „Viktim nan“, sagte er und das grausige Schauspiel begann. Zuerst verabreichte er dem Mann einen Trank aus einem Affenschädel. Anschließend nahm er eine Machete, die im Boden stach. Die Haare waren das Erste, was beschnitten wurde und glauben sie mir das war das Harmloseste.“
Peter hustete stark, doch mit einem weiteren Zug an seiner Zigarette verstummte der Hustenreiz.
„Was sie mit diesem Mann anstellten, ließ mich erschaudern. Der Priester schnitt ihm ein Ohr ab. Doch von dem Mann kam keine Regung. Er schien in Trance zu sein, was wohl der Trank bewirkt hatte. Dann schnitt er ihm eine Brustwarze ab, gefolgt von einem Finger, wobei er sich bei diesem schon etwas anstrengen musste. Das laute Knacken des Knochens höre ich heute noch, wenn ich daran denke. Dann machte er sich an den Bauch und setzte zu einem Schnitt an. Ich musste mich abwenden und da sah ich sie. Keisha. Sie stand neben mir und half mir meine Fesseln zulösen. Wie auch immer sie hatte es geschafft, sich selbst zu befreien. Dadurch, dass alle mit diesem einen Mann beschäftigt waren, konnten wir drei uns befreien und waren nun nackt auf der Flucht. In irgendeinem Wald, den wir nicht kannten. Es war stockfinster und jeder Ast schmerzte an den Füßen, da wir keine Schuhe trugen. Wir keuchten vor Anstrengung und der Schweiß lief an unseren Körpern hinab. Wir waren noch nicht weit gekommen, da hörten wir schon die wilden Rufe der Voodoojünger. Mir war klar, dass sie uns verfolgten und, dass sie diesen Wald wohl besser kannten als wir. Meine Lungen brannten und den anderen ging es nicht anders. Wir hörten unserer Jäger immer näher kommen. Wir wichen Bäumen, Sträuchern und allem aus, was sich uns in den Weg stellte, aber die anderen waren schneller. Angst flammte immer weiter in mir auf, so dass ich mich übergeben musste. Dies nutzen wir aus, um zu verschnaufen. „Wir müssen hier lang“, sagte Keisha. Es war das Letzte, was sie sagte. Ein kurzes Zischen ließ mich im spärlichen Mondlicht erkennen, wie eine Speerspitze vorne an ihrem Hals rausragte. Mit weit aufgerissenen Augen schaute sie uns an, versuchte noch etwas zu sagen, doch sie röchelte nur noch und Blut quoll aus dem Mund. Ich musste mir beide Hände vor dem Mund halten, um nicht zu schreien und wir beide flüchteten weiter. Hinter uns hörte ich, wie sie uns verfolgten. Wie Schatten die ihren Körper suchen. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie uns hatten. Aber so einfach wollten wir nicht aufgeben. Wir rannten immer weiter und hinter mir spürte ich regelrecht die Hände, welche nach mir griffen, als sich plötzlich der Wald auftat und wir auf eine Straße rannten. Ein kleiner Bus stand etwas oberhalb am Straßenrand. Sofort liefen wir dorthin und stiegen in den Bus. Der Busfahrer war so verdutzt, dass er uns noch nicht einmal die Fahrt berechnete. Erleichtert, dass wir entkommen waren, interessierte es uns nicht einmal, dass wir nackt im Bus saßen. Wir fuhren in die Stadt und gingen in das erste Motel. Im Zimmer fiel uns dann erst die Last von den Schultern. Erleichtert und voller Adrenalin, überkam uns die Lust und wir trieben es. Als er in mich eindrang, spürte ich seine Stärke und ich wusste, dass ich ihn brauche.“
„Eh, Moment. Irgendetwas passt hier doch nicht. Sie meinten bestimmt, als sie in Tyra eindrangen“, sagte Viktor irritiert.
„Nein mein Junge. Es ist schon richtig. Zu dem damaligen Zeitpunkt war ich Tyra“, sagte Peter und drückte die Zigarette in einem Aschenbecher aus.
„Das wird mir hier jetzt zu blöd. Ich werde jetzt gehen.“
„Sie gehen nirgends hin, Viktor.“
Peter warf eine Stoffpuppe, die aus Jutestoff geformt war auf den Tisch. Für Viktor ging alles zu schnell. Peter hatte schon einen Nagel angesetzt und schlug ihn der Puppe in den Arm, so dass diese im Schreibtisch hängen blieb. Das Gleiche machte er mit dem zweiten Arm.
„Verdammte Scheiße. Was geht hier vor“, schrie Viktor. Er versuchte sich mit aller Kraft, zu befreien. Aber es half nichts, er war am Stuhl gefesselt, wie von unsichtbarer Hand.
„Ich bitte um Ruhe“, sagte Peter seelenruhig und stand auf. Sein Gesicht war immer noch im Schatten. „Wissen sie Viktor, die Voodoorituale sind wie geschaffen für mich. Wenn man mächtig ist, ermöglichen sie, dass man ewig lebt. Ich fragte sie doch eben, ob sie wissen, was ein Loa ist. Nun Loa sind sehr machtvoller Geister, welche die Kraft haben in Körper zuwandern. Und eben so einer bin ich. Die meisten Loa denken sie müssten nur helfen, aber davon bin ich abgekommen, mein Name ist Quato und ich ziehe es vor, ein ewiges Leben zu führen. Was mich wohl oder übel zu ihnen bringt mein lieber Viktor.“
Peter stand inzwischen vor Viktor.
„Bitte lassen sie mich gehen. Ich habe viel Geld“, sagte Viktor ängstlich und mit Tränen in den Augen.
„Sie enttäuschen mich Viktor. Ich dachte, ich hätte mich klar ausgedrückt. Ich will kein Geld. Der jetzige Körper ist inzwischen alt und schwach. Ich brauche ihren Körper, stark und gesund, denn sie sind …“, Peter hielt inne. „Viktim nan!“
Peter bückte sich zu Viktor hinunter. Viktors Gesichtszüge froren vor Schreck ein, als er das Ebenbild von Peter sah.
Die verschrumpelte Haut war dabei nicht das Schlimme. Die Augen, welche in den tiefen Höhlen hingen, waren pechschwarz und ließen einem einen Schauer über den Rücken laufen. Die spitzen gelben Zähne klapperten lustvoll. Viktor konnte sich nicht mehr bewegen und Peter näherte sich immer mehr, bis sie fast Mund an Mund waren.
„Viktim nan. Viktim nan. Viktim naaaaaannnnn.“
Mit den letzten Worten schien Peter die Luft aus Viktor zu ziehen. Doch urplötzlich brach er zusammen und Viktor erwachte aus seiner Starre. Er stand auf und ließ seinen Blick nicht von Peter ab. Die zwei Schatten traten neben ihn. Er blickte sie an und ließ ein gerissenes Grinsen über seine Wangen huschen.
„Schafft mir diese leere Hülle hier weg“, sagte er zu ihnen und die Schatten packten die Überreste von Peter und brachten ihn aus dem Büro.
Alleine im Raum blickte er an sich hinab und schmunzelte.
„Endlich wieder ein junger Körper. Jetzt wird es Zeit, dass ich tanzen gehe“, sagte er laut. Zu den Salsarhythmen schwingend ging er die Tür hinaus, um sein neues altes Leben zu genießen.