Ein Tag geht zu Ende
„Warum weint sie?“, frage ich mich, als ich meine Frau an der Haustür sehe. Ich fahre mittlerweile zwanzig Jahre auf die Arbeit, noch nie liefen Maria dabei Tränen die Wange hinunter. In neun Stunden komme ich ja mit frischen Brötchen zurück. Wo liegt das Problem? Ein Teil von mir möchte stehen bleiben. Sie in den Arm nehmen und sagen: »Ich Liebe dich.« Nur um sie zu beruhigen, aus irgendeinem Grund schaffe ich es nicht, anzuhalten.
„Wäre etwas Schlimmes vorgefallen, hätte sie mich zurückgehalten“, geht mir durch meinen Kopf, um mein Gewissen ins Reine zu bringen. Ich biege um die Ecke ab und fahre die Straße lang, die letzten Sonnenstrahlen blenden mich. Ich verbrachte heute einen herrlichen Tag mit meiner Familie.
„Fang mich doch!“, rief Timo mein ältester Sohn.
„Na, warte ich krieg dich“, sagte ich und lief ihm nach.
Er lachte herzlich, als er vor mir flüchtete. Da merkte ich einen Widerstand an meinem Bein.
„Ich halte Papa. Lauf Timo!“, schrie Daniel, der zwei Jahre Jünger wie Timo war.
„Du Rabauke“, sagte ich und ließ mich zu Boden fallen.
„Auf ihn!“, rief Timo und sprang auf mich.
„Wir müssen Papa helfen“, sagte Lara meine Jüngste, die bei ihrer Mutter auf dem Arm einen gemütlichen Platz gefunden hatte.
„Na los!“, sagte meine Frau und sie kamen zu uns gerannt. Im Handumdrehen lagen wir alle auf dem Boden und die Kinder kitzelten wir ordentlich durch.
Es gibt nichts Schöneres wie Kinderlachen.
Ich biege ab auf die Hauptstraße und ich merke ein Schwindelgefühl in meinem Kopf. Hoffentlich werde ich nicht krank.
Nach so einem Tag fällt es schwer, meinem Job hinterher zu gehen. Ich könnte jetzt genauso neben meiner Frau auf der Couch liegen, sie nur ihm Arm halten und ihre Nähe genießen. Aber nein, ich muss auf die Arbeit.
So ist es eben, das Leben.
Ich fahre in einen Kreisel und biege die Erste ab. An der Eisdiele herrscht noch reger Betrieb, wen wundert das bei so einem Wetter.
Auf dem Gehweg sehe ich Peter, meinen besten Freund. Ich will nach ihm hupen, doch funktioniert sie nicht. Ich winke wie verrückt. Er sieht mich nicht. Ich glaube zu erkennen, dass er durch mich hindurchschaut. Nur Einbildung nehme ich an. Wir sind ja nicht mehr die Jüngsten.
Ich fahre Weiter. Ein Tag Urlaub. Ein schöner Gedanke.
Vor einer Stunde brachte ich die Kinder zu Bett.
„Kannst du uns noch eine Geschichte erzählen?“, fragten sie.
„Natürlich“, war meine Antwort, als hätte ich dies jemals vergessen.
Ich liebe es ihnen Geschichten zu erzählen und sie mögen dies. Sie fiebern dem immer entgegen. Nach der Geschichte wollte ich zu meiner Frau gehen. Ich merkte Stiche in meinem Brustkorb, im Moment merke ich nichts mehr. Bestimmt der Brustwirbel.
Ich fahre Weiter, dies ist doch nicht der Weg auf meine Arbeit. Wieder spüre ich einen Schwindel in meinem Kopf.
„So. Die Kinder schlafen“, sagte ich zu meiner Maria, als ich die Treppe hinunter kam. Kalter Schweiß perlte von meiner Stirn.
„Schatz ist alles in Ordnung? Du siehst so weiß aus“, bemerkte sie besorgt.
„Mir ist nur etwas …“
Ich sackte zusammen.
„Martin nein!“, schrie meine Frau und rief sofort den Notruf, der schnell vor Ort war. Wieso führen sie eine Herzmassage durch, ich bin doch bei mir. Oder?
Wie ein Donnerschlag begreife ich es, als der Notarzt mir ein Tuch übers Gesicht zieht.
Warum sitze ich hier in meinem Auto? Der Schwindel löst sich auf und ich halte nicht mehr das Lenkrad in den Händen. Ich liege hinten flach im Wagen eingesargt in meinem letzten Bett. Ich bin Tod.
Als mich diese Erkenntnis trifft, sehe ich nur ein Licht, das mir mein Leben in einem Bruchteil von einer Sekunde aufzeigt.
Dann spüre ich nur noch Leere. So gehe ich davon.
Das war mein Leben.