Die Bedürftigen
Das Zittern der Hand, ließ die Münzen in der Geldbüchse rappeln. Allerdings war es nicht die Kälte, welche das Schaudern verursachte. Es war angst.
Pavel, ein dünner, schlaksiger Junge, dessen Haare aussahen, als hätten Ratten daran genagt, ging den Weg hoch zum Schloss.
Auf einem kleinen Berg ragte das Gemäuer über dem Heimatdorf empor und am späten Nachtmittag warf es bedrohlichen einen Schatten darauf.
Pavel war Messdiener in der örtlichen Kirche und der Pastor hatte ihn losgeschickt Spenden für die Armen zu sammeln. Den ganzen Tag wanderte er durch das Dorf und sammelte für die Bedürftigen. Jetzt war nur noch ein Haus übrig und dies war ausgerechnet der Prachtbau, welcher auf dem Gipfel stand. Im Schatten gehüllt ging er den Weg hinauf.
“Ohne Ausnahme jedes Haus!”, hatte ihn der Pastor ermahnt.
“Auch das Schloss?”, hatte verängstigt Pavel gefragt.
“Auch das Schloss!“
Da der Priester Gottesdiener war, würde er merken, wenn er nicht zum Schloss ging und so kämpfte sich Pavel hinauf.
“Das ist die Burg von Graf Dracula”, hatten sich die Kinder im Dorf erzählt. “Der kommt immer in die Häuser und entführt die Hilflosen. Die nimmt er dann mit in sein Heim und dort saugt er ihnen das Blut aus.“
Pavel schauderte, als er sich die Geschichten in den Kopf rief. Wie konnte er nur da hochgehen, sich bereitwillig Graf Dracula stellen, der würde ihn vermutlich sofort in das Schloss ziehen und sich satt trinken. Doch die Gottesfurcht war größer.
Das Eingangstor kam ihm gigantisch vor, als er davor stand. Fast so hoch wie ein Haus.
Zitternd griff er nach dem Türklopfer und ließ ihn dreimal auf die Tür prallen.
Quietschend öffnete sich das Tor, bloß konnte er niemanden sehen.
“Hallo!”, rief er zaghaft. Und er bekam ein, “Hallo”, zurück, nur war es das Echo, das sich in der imposanten Eingangshalle spiegelte.
Pavel wusste nicht, warum, aber er schritt, hinein. Als er sich in der Mitte der Halle befand, hörte er etwas. Es war zwar sehr leise, aber er konnte ein Wimmern erkennen, welches aus einem Raum in der oberen Etage kam. Auf Zehenspitzen ging er zu dem Zimmer, dessen Tür nur angelehnt war. Er spähte durch den Türschlitz und erkannte einen alten Mann, der wie ein Häufchen Elend auf einem Sessel saß und weinte.
“Hallo?”, sagte er vorsichtig und voll Mitleid.
“Wer ist da?”, sagte der Alte und wischte sich die Tränen weg.
“Mein Name ist Pavel. Ich sammele für die Bedürftigen”, sagte er und öffnete zart die Tür.
“Das ist gut Junge”, sagte der Mann und kam mit einem Lächeln auf ihn zu. “Setzt dich und trink mit mir einen Tee, ich habe sogar noch ein paar Kekse die wir essen können.“
Pavel war überrascht, schließlich hatte er was absolut anders erwartet. Jetzt stand da ein freundlicher alter Herr und bat ihn um Gesellschaft. Er nahm platz, trank einen Tee und verspeiste das Gebäck. Er unterhielt sich bestimmt zwei Stunden mit dem Alten, der dies sichtlich genoss. Als der Abend kam, machte sich Pavel wieder auf den Heimweg.
Dies war aber nicht der letzte Besuch von ihm. Er besuchte zukünftig den alten Mann zweimal in der Woche, denn eines hatte er gelernt. Es gibt nicht nur Bedürftige, die am Hungertuch nagen. Es gibt auch Bedürftige, die unter Einsamkeit leiden.