Das Horusamulett

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„Das ist der Sarkophag von Mentuhotep“, sagte der Führer und die Touristen drängten sich vor Sarg. Die Digicams klickten ununterbrochen, ungeachtet das es nicht erlaubt war. Doch dieses Relikt konnte keine Geschichte erzählen, es war einfach ein Bestattungsinstrument und mehr nicht. Stattdessen lag hinter ihnen in einem Schaukasten ein Amulett des Horus-Falken, bloß hierfür interessierte sich niemand. Obwohl die Geschichte dahinter hätte, sie in ihren Bann gezogen.
Prinzessin Xhemile ergriff das Horus-Falkenamulett und küsste es sanft.
„Ich liebe dich für immer“, flüsterte sie kaum vernehmbar. Tränen liefen ihr die Wangen hinab. Das Licht einer Fackel erhellte nur spärlich die Dunkelheit. Sie kniete auf einem sandigen Boden und um sie herum war alles mit Blocksandsteinen gemauert. Knapp einen Meter war dieses Grab ausgehoben und eine Sandsteinplatte versperrte den Weg nach oben.
„Wie konnte es nur so weit kommen?“, dachte sie und erinnerte sich an den Tag, als sie Nahil das erste Mal sah.
Es war ein wunderschöner und heißer Tag, die Sonne schien von dem hellblauen Himmel hinab und Xhemile vertrieb sich die Zeit mit Freundinnen an einem großen länglichen Brunnen. Gerne hielt sie sich in den Gärten des Palastes auf, wo Granatapfelbäume ihre Frucht darboten, Hibiskus ein Farbenspiel mit der Blütenpracht zeigte und die Lotusblumen ihre unverkennbare Schönheit ausspielten. Sie ließ die Füße im Wasser baumeln. Die Mädchen tuschelten und kicherten vor sich hin, bis Xhemile Nahil erblickte. Er war ein neuer Diener im Palast, vorher hatte sie ihn noch nie gesehen, denn solch ein Typ wäre ihr unverzüglich aufgefallen. Er trug einen langen weißen Schurz und die kupferfarbene Haut seines muskulösen Oberkörpers glänzte in der Sonne vom Schweiß, was Xhemile sehr reizend fand. Die mandelförmigen Augen waren stahlblau und das verzauberte sie noch mehr. Sie konnte kaum den Blick von ihm abwenden und er erwiderte diesen mit einem kurzen Lächeln. Xhemile wurde es sofort heiß um den Brustkorb herum. Nahil hatte in ihr Sehnsüchte geweckt, die sie zuvor nie verspürte, aber er war ein Diener und aus diesem Grund versuchte sie, ihn schleunigst zu vergessen. Das gelang für die erste Zeit mühelos, bis sie eines Morgens im Palast um eine Ecke bog und mit Nahil zusammenstieß.
„Ich bitte vielmals um Entschuldigung, Prinzessin“, sagte er voller Ehrfurcht und half ihr auf die Beine.
„Kannst du nicht besser …“, sie blickte in diesem Moment in Nahils Augen und war erneut hin und weg. Jetzt erkannte sie, mit wem sie zusammengestoßen war. Er stand so nahe, an ihr das sie die Körperwärme spürte und einen süßlichen Geruch vernahm, welchen Nahil von sich gab. Ihr Herz raste und ihre Hände wurden vor Erregung feucht.
„Du?“, stotterte sie und schaute ihn fast verträumt an.
„Es tut mir leid. Ich wollte euch nicht wehtun“, entschuldigte er sich.
„Es ist ja nichts passiert. Wie war noch dein Name?“
„Nahil, Prinzessin.“
„Du brauchst mich nicht Prinzessin zu nennen, Nahil. Mein Name ist Xhemile.“ Sie rieb sie die Kleidung glatt. „Begleite mich ein Stück.“
Der Diener tat wie ihm geheißen.
„Sag woher kommst du Nahil?“
„Ich bin Waisenkind und wurde im Horus Tempel von den Priestern erzogen. Sie waren immer gütig mit mir und so fand ich auch zu Horus.«
»Also bis du ein gläubiger Mann?«
»Ich bete zu Horus und das ist mein Glaube, allerdings ein Priester will ich nicht werden.«
»Weshalb möchtest du das nicht?«, fragte Xhemile und auf irgendeine Art und Weise war sie erleichtert, dies zu hören.
»Ich habe größten Respekt vor den Priestern«, er griff nach einem Amulett, welches den Horusfalken zeigte. »Aber ich müsste auf zu viel verzichten.«
»Und das wäre?«
»Eine Frau, die einen liebevoll begrüßt, wenn man von der Arbeit kommt. Kinder, die einem am Bein hängen und spielen wollen. Ein eigenes Heim, was ich noch nie hatte. Später einmal möchte ich in den Armen meiner Liebsten sterben und dann weiß ich das mein Leben erfüllt war.«
Die Prinzessin war hin und weg, als Nahil alles erzählte und sie träumte vor sich hin. Warum auch immer sie wollte, ihn Küssen.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte Nahil, da er merkte, das Xhemile geistig abwesend war.
»Oh ja«, sagte sie, als hätte man sie aus einem Sekundenschlaf geweckt. »Sag mir gibt es diese Frau schon?«
»Nein die gibt es nicht, aber eventuell finde ich sie bald.« Er blickte ihr tief in die Augen und sie verlor sich darin. Ihre Köpfe rückten stetig näher und wärme schoss ihr ins Gesicht. Kurz bevor sie sich küssten, hörten sie.
»Xhemile wo bist du?«
Es war ihr Vater. Sie schreckte zurück und lief rot an.
»Ich muss weg«, sagte sie knapp und wollte weglaufen.
»Warte!«, flüsterte Nahil und streifte das Amulett ab. »Hier nimm dies es soll dir Glück bringen.«
»Und was ist mit deinem Glück?«
»Solange ich im Palast bin, ist mein Glück ganz in der Nähe.« Er lächelte sie an und Xhemile hüpfte das Herz.
»Xhemile wo bist du?«, diesmal war der Ton noch schroffer. Ohne weitere Worte lief die Prinzessin zu ihrem Vater.
»Was hast du da gemacht?«, sprach ihr Vater barsch.
»Ach nichts Vater ich habe einen Ring von mir gesucht, denn ich verloren habe«, beschwichtigte sie ihn.
Die nächsten Wochen mied Xhemile Nahil, weil sie wusste, was ihm blühte, falls sie sich aufeinander einließen. Solch ein Schicksal wollte sie ihm ersparen und so drehte sie immer gleich um, wenn sie ihn ansatzweise sah. Nahil machte ebenso keine Anstalten, dies wäre zu offensichtlich gewesen.
Die Prinzessin hatte fast damit abgeschlossen, bis sie ihn eines Abends noch einmal traf. Sie saß im Palastgarten und genoss den Blick in die Sterne. Im Brunnen spiegelte sich die Sichel des Mondes und Grillen zirpten in den Gebüschen. Die Ruhe der Einsamkeit war einzigartig herrlich. Sie hatte nach ihrem Diener gerufen, der ihr etwas Erfrischendes zu trinken bringen sollte, doch zu ihrer Überraschung stand Nahil mit dem Getränk vor ihr, obwohl er nicht dafür zuständig war.
»Was machst du hier?«, fragte sie einerseits schockiert, aber auch entzückt. Ihr Herzschlag hatte sich in diesem Moment verdoppelt.
»Ich habe einen neuen Bereich.« Er reichte ihr den Becher mit enttäuschter Miene.
»Was ist mit dir?«, wollte sie wissen, schließlich vermisste sie das unvergleichliche Lächeln.
»Warum hast du mich gemieden?«, flüsterte er, ohne zu zögern.
»Weshalb sollte ich das? Ich bin die Prinzessin und habe das nicht nötig.« Der zweite Satz tat ihr bereits leid, bevor sie ihn aussprach, denn sie begehrte ihn auf eine besondere Art und Weise. Ihr verstand sagte »Nein«, aber das Herz sagte »JA«.
»Ich dachte, du bist Xhemile eine hübsche, begehrenswerte und intelligente Frau. Eine Prinzessin, die sich nicht vorschreiben lässt, was sie zu tun hat nur um die Etikette zu wahren«, sprach Nahil und blickte sie fast hypnotisierend an.
Er hatte den Nagel auf den Kopf getroffen und Xhemile stand voller Erregung auf. Ihr Herz pochte, was man unverkennbar am Hals erkannte. Sie verlor sich in den Augen von Nahil, als würde sie in die unendlichen Weiten des Weltalls fliegen. Er lächelte sie zart an und sie warf sich ihm sofort um den Hals. Sie küssten sich und ihr Kopf schien sich zu drehen. Es war atemberaubend und sie vergaß die Konsequenz, was ihnen blühte, wenn man sie hierbei sah. Sie strich mit ihren Händen über seine muskulöse Brust und glitt zum Bauch, der ebenfalls kein fett zeigte. Die Haut fühlte sich geschmeidig und straff an. Hitze wallte in ihr auf, als Nahil sanft ihr Schlüsselbein liebkoste. Sie stöhnte leise auf, drückte ihn von sich, was ihn leicht verwunderte. Sie zog ihr Gewand aus, indem sie die Träger des Kleides von den Schultern streifte. Sie stieg verführerisch in den Brunnen und wies Nahil mit einem Wink des Zeigefingers an ihr zu folgen. Das kühle Nass des Wassers vermochte es nicht ihre Begierde einander zu minimieren. Sie gaben sich voll und ganz der Liebe hin und die Ekstase erreichte fast ihren Höhepunkt, als mit einem Schlag alles vorbei war. Jemand riss Xhemile an den Haaren von Nahil runter und mit Schrecken erkannten sie ihren Vater, der mit seiner Leibgarde am Rand stand.
»Du bist meine Tochter und nicht irgendeine Hure«, brüllte er voller Wut und ließ die flache Hand auf das Gesicht von ihr krachen. Eben noch auf dem Gipfel der Gefühle befand sich Xhemile nun auf dem Tiefpunkt.
»Bringt mir diesen Hundesohn hierher«, befahl er seiner Leibwache und sie zogen Nahil ebenfalls aus dem Wasser. Nackt, wie Gott ihn schuf, kniete er vor seinem Herrn.
»Du hast es gewagt meine Tochter zu entehren«, schrie er und trat ihm ins Gesicht. Sofort platze Nahil der Kopf auf und stöhnend ging er zu Boden. Xhemile weinte bitterlich.
»Haltet ihn fest!«, sagte er und nahm sich ein Schwert von der Leibgarde. Diese hielten Nahil vorne übergebeugt an den Armen und Xhemiles Vater brauchte einen Hieb, um ihm den Kopf abzutrennen. Die Prinzessin kreischte vor Entsetzen.
»Hör auf zu weinen du Hure«, ein weiterer Schlag traf sie, so dass sie das Bewusstsein verlor. Sie vernahm nur noch diese Worte, «du bist nicht mehr meine Tochter«, dann war sie weg von jeglicher Gedankenwelt. Der Sturz in eine Grube ließ sie wieder zu sich kommen. Knapp einen Meter tief lag sie darin und ihr Vater stand über ihr. Er hielt eine Fackel in der Hand und blickte mit Abscheu und Enttäuschung auf sie hinab. Das Flackern des Lichtes ließ ihn erschreckend Böse aussehen.
»Du warst meine Tochter und hast mein Haus entehrt. Ich werde dir deine gerechte Strafe geben und um deine verlorene Seele beten.«
Er warf die Fackel zu ihr und jetzt erst sah sie die Leibgarde, wie sie eine Sandsteintafel auf die Öffnung der Grube setzte. Stille trat ein und Xhemile dachte nur an Nahil.
»Das war nicht unser Schicksal«, ging ihr durch den Kopf, als neben ihr das Feuer ausging.
In der Dunkelheit überkam sie stets mehr die Müdigkeit und schließlich fielen ihr die Augen zu.
Gleißend helles Licht weckte sie auf und Xhemile schaute in das blaue Himmelsgewölbe, das keine Wolke zuließ. Wer hatte sie gerettet? Mit der Hand vor dem Gesicht, da ihre Augen die Finsternis gewohnt waren, blickte sie hinaus und erspähte einen Schatten am Himmel, der stetig wuchs, bis sie ihn erkannte. Ein riesiger Falke kam auf sie zugeflogen und auf dessen Rücken sah sie Nahil, der sein zauberhaftes Lächeln zeigte. In diesem Moment wusste sie, dass sie von nun an für immer vereint waren.