Sonderbahn nach Transsilvanien

Copyright by Michaela Giuliani
„Herzlich willkommen zum Todesrummel ohne Wiederkehr an Halloween. Passen sie auf das sie nicht von einem Werwolf gebissen oder von einem Vampir ausgesaugt werden“, rief der Jahrmarktbesitzer am Eingangsbereich des Rummels. Er war als Blutsauger verkleidet und fletschte die falschen Zähne, so dass diese sich lösten und damit eine unfreiwillige Komik darboten. Im Hintergrund hörte man das Rattern einer Achterbahn und die darauffolgenden Schreie der Fahrgäste, die in die Tiefe gezogen wurden. Von überall her drang schaurige Musik und nahezu jeder war in ein beliebiges Horrorkostüm gehüllt. Angestellte des Jahrmarkts sprangen aus Verstecken und erschreckten die Besucher.
Nur einen beeindruckte das nicht. Jack schlurfte fast wie ein Zombie über den Rummel, jedoch lag dies wohl eher an der Hose, die ihm bis in die Kniekehle hing. Er zog total entspannt an einer Zigarette und blies lässig den Rauch aus. Das braune Haar war stoppellang und der Bartwuchs im Gesicht war dürftig, nichtsdestotrotz ließ er ihn wachsen, was einem gerupften Huhn gleichkam. So cool und das mit nicht ganz sechzehn Jahren, aber seine Freundin Jenny, die neben ihm ging, übertraf alles. Sie kaute genüsslich ein Kaugummi und vergas hierbei nicht den Mund so weit wie machbar aufzureißen. Wäre auf dem Jahrmarkt nicht so viel Lärm gewesen, dann hätte man garantiert das laute rhythmische Schmatzen von ihr vernommen. Die blonde Mähne war hochtoupiert und vorne hatte sie eine rosa Strähne. Eine Karottenjeans im Leoprint und eine Jeansjacke ließen jeden sofort an die 80er denken. Retro würden die Jugendlichen heute sagen.
Unbeeindruckt schlenderten sie Hand in Hand über den Rummel.
»Was meinst du, Jenny sollen wir mit der Achterbahn fahren«, sagte Jack lässig mit der Zigarette im Mund.
»Oh nein. Da wird mir immer übel. Außerdem schau dir mal die Schlange an, da müssten wir ja eine Stunde anstehen.«
Er blickte die Menschenmenge an und winkte ab. »Stimmt da hast du recht.«
Ohne ein eindeutiges Ziel gingen sie weiter über den Jahrmarkt.
»Was sollen wir machen?«, fragte Jack.
»Ich weiß nicht«, antwortete Jenny und spiegelte damit, dass Jugendliche heutzutage nicht mehr wussten, was sie in ihrer Freizeit tun konnten.
»Ach scheiße, dann hätte ich zu Hause auf der Couch liegen bleiben können«, fluchte Jack und erblickte gleichzeitig etwas, das seine Aufmerksamkeit erweckte.
Die Buchstaben leuchteten hell und Blut, natürlicherweise künstlich, lief an ihnen hinab.
»Sonderbahn nach Transsilvanien«, lockte das Fahrgeschäft die Leute an. Bloß waren Gäste dort Mangelware, nicht wie auf der Achterbahn.
»Hey, das ist cool. Lass uns auf die Geisterbahn gehen«, sagte Jack und zog Jenny sofort in die Richtung. Sie hatte keine Einwände, diese Bahn war ihr tausend Mal lieber, als die Achterbahn.
Die Geisterbahn war verkleidet, so dass sie ein Schloss dargestellte, wo Gummifledermäuse herumflogen. Im Kassenhäuschen saß ein Mann, der frappierend an Frankensteins Monster erinnerte.
»Wie viel Personen?«, fragte er monoton, als die beiden vortraten.
Jack schaute verdutzt auf seine Freundin und dann machte er eine Handbewegung hin und her.
»Alter, wie sieht das aus?«
»Wie viel Personen?«
Jack seufzte aufgebend.
»Zwei, Frankenstein. Eventuell sollte ich mal deinen Erfinder fragen, ob er dein Hirn vergessen hat.«
Der Kassierer schien gar nicht zu registrieren, was Jack gesagt hatte. Er nahm schleppend das Geld entgegen und legte ihnen zwei Fahrtickets hin, die außergewöhnlich groß waren und antik aussahen.
»Oh man Alter. Wird das, noch was heute«, sagte Jack und riss die Tickets an sich. Gemeinsam gingen sie zu dem leeren Wagen, der eine Kutsche darstellte. Sie hockten sich hin und warteten, aber aus irgendeinem Grund passierte eine Weile nichts. Jack blickte aus dem Gefährt hinaus und erkannte das im Kassenhäuschen keiner mehr saß.
»Was soll diese Scheiße. He Frankenstein was ist denn? Drück endlich den Startknopf, ich will das hinter mich bringen.« Jack wand sich Jenny zu. »Was ist das für ein Rotzladen. Kein Wunder, das hier niemand hinkommt.«
Er drehte sich nochmals um und sein Herz setzte kurz aus. Er blickte in ein Gesicht, das er noch nie gesehen hatte. Die Augen des Mannes waren versetzt, so dass das eine tiefer hing wie das andere, dabei schielten sie noch. Die krummen Zähne wuchsen in jede Richtung, nur nicht in die Tatsächliche und der Buckel ragte höher hinaus, als der glatzköpfige Schädel. Der Mann ließ ein Lachen los, das einem Glucksen gleichkam.
»Willkommen auf der Zonderbahn nach Tranzzilvanien«, lispelte er und spukte nebenbei circa einen Liter Speichel aus. »Ich bin Igor!«
Jack und Jenny waren zu geschockt, um überhaupt eine Reaktion von sich zu geben. Igor stand vor ihnen und grinste dämlich vor sich hin.
»Was ist? Wartest du auf schöneres Wetter?«, sagte Jack, nachdem er sich gefangen hatte.
»Die Ticketz!«
»Ach so!«
Jack warf sie Igor vor die Füße. »Kann es jetzt losgehen?«
»Wie die Gäzte wünzchen und denken zie daran während der Fahrt ztetz im Wagen zitzen bleiben«, sagte Igor und übergoss den Startknopf auf dem Pult mit Spucke.
Jack zündete sich eine Zigarette an, als die Bahn startete.
»Rauchen izt nicht erlaubt«, warnte Igor ihn.
»Ich nix verstehe«, stellte Jack sich dumm. »Ach übrigens eine tolle Verkleidung«, sagte er, bevor sie in die Dunkelheit der Geisterbahn fuhren und die Türen sich hinter ihnen verschlossen.
»Welche Verkleidung?«, flüsterte Igor und ließ ein verschmitztes Lächeln über die schiefen Lippen huschen.
Die Dunkelheit wurde im ersten Moment nur von Menschengeschrei erfüllt, doch dabei blieb es nicht. Ein künstliches Gewitter erhellte den Raum für einen kurzen Augenblick und vor ihnen erkannten sie einen Zombie, der über einen Menschen gebeugt seine Mahlzeit genoss. Das Schmatzen war nicht zu überhören. Jack war kaum beeindruckt. Er schaute auf den Zombie und dieser erwiderte den Blick.
»Also die Augen haben sie verflucht realistisch hinbekommen«, sagte er ein wenig lauter, damit Jenny ihn verstand. Der Zombie blickte nun zu ihr.
»Jack der sieht verteufelt echt aus.«
»Das soll er ja auch. Ist schließlich und endlich eine Geisterbahn.«
Der Untote stand auf und schlurfte auf sie zu.
»Jack das gefällt mir nicht«, Jenny krallte sich in seinen Arm.
»Oh man Jenny. Pass auf!«
Jack verließ den Wagen und betrat die Geisterbahn.
»Du weißt, doch was Igor gesagt hat, Jack. Bleib bei mir.«
»Hey, ich will dir nur zeigen das es Puppen sind.«
Er ließ sich nicht davon abbringen und ging auf den Zombie zu. Dieser schaute auf ihn hinab, letztendlich war er drei Köpfe größer. Jack tippte dem Zombie auf die Brust.
»Siehst du nur eine Puppe«, sagte er und bemerkte nicht einmal das es sich verdammt echt anfühlte. Der Zombie blickte verdutzt auf ihn, dann packte er zu.
»Ach du heilige Scheiße«, sprach er noch, bevor der Zombie ihn in die Dunkelheit warf. Jenny, völlig in Panik sprang ebenfalls vom Wagen und lief weg.
Jack lag im Dunkeln. Er war leicht benommen, doch hatte er eben noch so mitbekommen, dass Jenny davon gelaufen war. Vorsichtig krabbelte er vor seinem Angreifer weg. Der gab sich letzten Endes seinem Abendmahl erneut hin. In der Finsternis tastete sich Jack weg von dem menschenfleischfressenden Monster.
„Scheiße was war das?“, flüsterte er leise vor sich hin. „Das ist alles nicht echt, das kann nicht wahr sein.“
Selbst die Hand konnte er nicht vor seinen Augen erkennen, nichtsdestotrotz ein markanter Geruch stieg ihm in die Nase und er roch sofort feuchte Erde. Sogar der Boden veränderte sich und er spürte klammes Gras zwischen den Fingern.
Ein Blitz erleuchtete die Gegend, gefolgt von Jennys Schrei, „HILFE JACK!“
Der Donner folgte erst nach dem Hilferuf und hinterließ in Jacks Ohren ein Piepsen.
Der kurze Moment hatte er genutzt, um zu erfassen, wo er war. Ein riesiger Friedhof mit großen alten Grabsteinen befand sich unmittelbar vor ihm. Von weitem hörte er einen Wolf heulen, jedoch von Jenny vernahm er keinen Laut mehr. Das bereitet ihm Sorgen, selbst wenn er nicht den Anschein machte, so musste er doch seine Freundin beschützen und demzufolge war es Zeit zu handeln. Er bewegte sich vorsichtig nach vorne, ihm war nicht entgangen, dass auf einem Grab das in der Nähe war, eine Kerze gestanden hatte. Diese suchte er jetzt, indem er mit dem Feuerzeug den Weg spärlich beleuchtete. Somit hatte er rasch die Kerze gefunden. Es war eine Allerheiligenkerze, die offensichtlich nie angezündet worden war. Er hielt das Feuerzeug an den Docht, aber bevor dieser sich entzündete, verbrannte er sich den Finger und ließ es los.
„So ein verfluchter Mist“, fluchte er und kühlte den Finger in der nassen Erde ab. Beim zweiten Versuch klappte es und die Kerze brannte. Er nahm sie in die Hand und richtete sich auf und blickte fast Nase an Nase, wenn man es so nennen konnte, in ein verfaultes grün schimmerndes Gesicht. Die Augen waren hervorgequollen und die Zähne völlig Gelb. Eine Nase war nur noch ansatzweise zu erkennen und die Ohren schienen von irgendwelchen Käfern angeknabbert zu sein. Jack schrie auf und fiel nach hinten. Der Untote kreischte ebenfalls und wollte fort laufen doch rannte er genau gegen den mannshohen Grabstein, der neben ihm stand.
Bewegungslos blieb er liegen. Jack war verwirrt. Langsam raffte er sich auf und ging zu dem Wesen. Mit dem Fuß tastete er nach ihm und allmählich kam er zu sich. Als er Jack sah, stieg abermals Panik in seinen Blick.
„Tu mir nichts“, flehte er bemitleidenswert. Jacks Angst verwandelte sich in Belustigung.
„Was bist du den für einer? Normal müsste ich Schiss haben, das du mich auffrisst.“
„Ich bin nun einmal sehr schreckhaft. Außerdem bin ich Vegetarier“, sagte der Untote und setzte sich mit verschränkten Armen vor Jack.
„Du willst mich auf den Arm nehmen? Üblicherweise seid ihr nur auf Menschenfleisch und Hirn aus.“
„Du verwechselt hier Grundlegendes, ich bin ein Untoter und das andere sind Zombies. Die entstehen durch Übertragung eines Virus und wir Untote sind halt einfach lebende Tote.“
„Eine Logik, die ich nicht verstehe, aber ist ja egal. Ich muss meine Freundin finden. Deshalb führt mein Weg schleunigst weiter“, drängelte Jack.
„Ah, das Mädchen, wo so herrlich geschrien hat,“, sagte der lebende Tote und leckte sich mit der Zunge über die faulen Lippen.
„Ja genau weißt du, wo sie ist?“
„Oh“, sagte er und ließ einen irren Blick vom Stapel.
„Sag schon. Wo ist sie?“
„Ich fürchte, sie ist ihm in die Finger geraten.“
„Wer ist ihm?“
„Der Fürst der Dunkelheit, Nosferatu, oder wie ihr ihn kennt, Graf Dracula. Er hat eine gewisse Schwäche für das weibliche Geschlecht.“
„Ich muss sie retten“, sagte Jack entschlossen.
„Ich bin beeindruckt von deinem Mut und ich glaube, ich helfe dir. Habe ja sonst nichts zu tun. Du könntest mir nur einen Gefallen tun.“
„Und der wäre?“
„Ich rieche neben deinem feuchten Furz, auch Tabak in deiner Hose. Kannst du mir eine Kippe geben?“
„Na logo“, antwortete Jack und warf ihm das Kippenpäcken zu.
„Ah. Die liebe ich am meisten“, sagte der Untote, als er den ersten Zug die Lunge spüren ließ.
„Wo müssen wir hin?“, fragte Jack.
„Wir müssen über den Friedhof, aber auf Samtpfoten, damit wir nicht die anderen aufwecken. Mit denen ist nicht so gut Kirschenessen, wie mit mir. Am Ende des Totenackers wartet die Leichenhalle auf uns und da befindet sich ein kleiner Haken.“
„Der wäre?“
„Nun dort ruht der Boss und der hat einen leichten Schlaf. Wenn wir ihn wecken, dann ist es fix mit uns aus. Das kriegen wir hin. Gesetzt den Fall, dass wir da durchkommen, befinden wir uns direkt auf den Weg zu Draculas Schloss.“
„Ich hoffe es“, sagte Jack, obwohl er nicht wusste, was ihn erwartet.
Auf Zehenspitzen überquerten sie den Friedhof, bloß darauf bedacht keinen unnötigen Ton von sich zu lassen. Selbst das Knicken der Grashalme kam Jack unüberhörbar vor, geschweige denn von der Eigenatmung. Aber sie schafften es über den Friedhof zu kommen, ohne nur einen Ton von sich zu geben. Unglücklich war die Wahl von Jack getroffen, wo er sich dagegen lehnte, um zu verschnaufen. Der dort befindliche Grabstein war beträchtlich lose und kippte bei der kleinsten Berührung um. Ein lautes Krachen durchschnitt die Luft gefolgt von einem weiteren und nochmals einem weiteren. Wie bei einem Dominospiel fiel ein Grabstein auf den Nächsten und löste so eine Kettenreaktion aus, welche einen geräuschvollen Lärm veranstaltete. Als dieser Radau verzogen war, vernahm man das Stöhnen von dutzenden lebenden Toten.
„Oh, das ist gar nicht gut. Jetzt sollten wir uns beeilen“, sagte Jacks Begleiter und führte ihn fast im Laufschritt weg vom Friedhof auf die Leichenhalle zu. Im Hintergrund hörten sie Schreie von ihren Verfolgern.
„Dort vorne ist die Halle. Sei vorsichtig, wenn du sie betrittst und leise.“
„Kommst du nicht mit?“
„Nein ich halte meine Kumpels auf, ansonsten hättest du keine Chance. Also geh!“
„Vielen Dank!“, sagte Jack und es fühlte sich komisch an, denn niemals zuvor hatte er sich bei einer Person bedankt. Er spurtet los und rasch erkannte er das die Leichenhalle, so wie sein untoter Freund sie nannte, in Wirklichkeit eine Pyramide war. Zwar nicht so kolossal wie die in Gizeh, trotzdem beachtlich. Den Eingang erspähte er auf Anhieb, dass dort eine herkömmliche Glastür eingesetzt war, wunderte ihn nicht. Es sah ohne Frage überaus seltsam aus, aber für diesen Moment war dies das Beste, denn er musste nicht noch den Zugang suchen. Bedächtig öffnete er die Tür und betrat die Halle, die aussah wie eine gigantisch große Grabkammer eines ägyptischen Pharaos. In der Mitte des Saals befand sich ein Sarkophag und Jack wusste sofort, wo der Boss war und um wenn es sich handelte.
„Da kann nur die Mumie drin liegen. So ein Mist ich komme mir vor wie in einem Horrorfilm aus den 40ern“, flüsterte er und ging auf den Zehenspitzen durch die Halle. Er wusste nicht, woher es kam, doch wie es meist auch in den schlechten Filmen ist, fing seine Nase von innen an zu jucken und ein Niesreiz kroch in ihm hoch. Er atmete tief ein und hielt sich die Nase zu. Es half alles keinen Deut. Er ließ ein Niesen erschallen, dass vermutlich bei ihm zu Hause die Bilder, von den Wänden gehoben hätte.
Ohne Umschweife schob sich der Sarkophage auf und Jack sah die in Binden eingelegte Hand. Die Mumie stieg aus ihrem Grab.
„Ach du scheiße“, fluchte Jack und fing an zu laufen.
„Wer wagt es meinen Schlaf zu stören?“, sprach die Mumie in einem dunklen monotonen Ton.
Vor Angst konnte Jack noch nicht einmal den Ausgang ausfindig machen. Er drehte sich um und erblickte den Boss in voller Gestalt. Sie war bestimmt 2,5m groß und komplett in vergilbten Bandagen eingewickelt. Einzig die Augen konnte man sehen und diese waren rot leuchtend.
„Ein Mensch? Du wagst es, mich zu wecken?“
„Das war keine Absicht“, entschuldigte er sich mit zitternder Stimme.
„Ich bin schnell mit dir fertig“, sagte die Mumie und fing an mit den Armen zu wedeln. Sand flog vor ihr auf, wie bei einem Tornado und wurde immer gewaltiger. Der Sandsturm wuchs und es dauerte nicht lange, bis er Jack erreicht hatte. Mit solch einer Kraft hatte er nicht gerechten, der Sandtornado hob ihn von den Beinen und schleuderte ihn gegen ein Gefäß an der Wand. Ihm blieb die Luft weg. Auf dem Boden liegen rang er nach dem Atem, und als er pfeifend wieder Sauerstoff in seine Lungen zog, verflüchtigte sich für einen kurzen Moment die Panik. Er blickte um sich und erkannte den Ausgang in fast unmittelbarer Nähe. Jack machte einen langen Hechtsprung zur Tür, doch die Mumie war rascher wie er und versperrte ihm den Weg. Modriger Geruch drang Jack in die Nase, als die Mumie sich vor ihm aufbaute.
„Du kommst hier nicht raus“, sagte sie mit Ausdruck und hob zur Verstärkung den Arm. Jack schaltete blitzschnell. Ihm fiel gleich beim ersten Mal ein Stück Bandage auf, die am Arm hinunter hing, wie eine Zündschnur bei einer Dynamitstange. Er griff in die Tasche und packte das Feuerzeug. Lass es bitte sofort angehen, dachte er und sagte:
„Hey Mumie, du solltest dir mal besser die Zähne putzen du stinkst aus deinem Maul wie eine Kuh aus dem Arsch.“
Bei diesem Spruch konnte man sogar bei der Mumie ein verdatterter Gesichtsausdruck erahnen, obwohl noch nicht einmal ein Gesicht zu erkennen war. Auf jeden Fall zog Jack das Feuerzeug aus der Hosentasche, hielt es unter die lose Bandage und zündete es. Die Flamme schlug flugs über und breitete sich auf dem trockenen Stoff aus wie ein Lauffeuer. Die Mumie lief sofort schreiend umher mit bedacht das Feuer zu löschen und das nutzte Jack, um aus der Ausgangstür zu flüchten. Ohne sich umzublicken, rannte er bis an einen naheliegenden Wald, in den ein Weg führte. Als er sich umdrehte, war nichts mehr zu sehen von einer Pyramide oder einem Friedhof, aber das schien in dieser Welt normal zu sein.
„Der Untote meinte, ich komme hier direkt zu Draculas Schloss, also muss ich wohl oder übel den Weg entlang gehen“, sagte er zu sich selbst und beschritt den Weg.
Der Vollmond hing außergewöhnlich groß am Firmament und erhellt Jack den Weg. Außer einem Wolf, der ein Heulen in weiter Ferne abließ, hörte er überhaupt nichts. Irgendwann lichtete sich der Wald und eine tiefe Schlucht durchschnitt den Weg. Eine Hängebrücke führte auf die andere Seite, wo sich ein imposantes Schloss, dessen Türme man kaum zählen konnte, erhob. Keines der Fenster war erleuchtet, was es unheimlich und wie ein Schatten seiner selbst darstellte. Dies war kein Palast, welches man betreten wollte. Dennoch Jack musste dort hinein und wagemutig betrat er die Brücke, die im Wind bedrohlich schwang. Er versucht nicht nach unten zu schauen, obwohl es ihm hin und wieder misslang. Sein Magen dankte es ihm mit Übelkeit, ohne besondere Vorkommnisse kam er sicher an. Ein kleiner steiniger Weg führt direkt zum Eingangportal, das imposant von der Nähe aussah. Jack drückt gegen das Tor, vergebens.
Wie komme ich da nur rein?
Er entschied sich für die denkbar einfachste, womöglich auch lächerlichste Idee. Er klopfte an. Zuerst geschah gar nichts, doch dann hörte er, wie Riegel geschoben wurden und Schlösser knackten. Die Scharniere quietschten, bloß waren es nicht die der Tür, sondern von einer kleinen Luke über ihm. Er blickte hinauf und konnte gerade noch sehen, was ihn traf. Ein großer Stein knallte ihm genau auf den Kopf und er verlor das Bewusstsein.
Jack schlug die Augen auf, es war dunkel und er lag in einem weichen bequemen Bett.
Gott sei Dank! Alles nur ein Alptraum.
Er suchte den Lichtschalter, doch er fand ihn nicht. Jetzt bemerkte er erst, dass er nicht in seiner Koje lag.
„Wo bin ich hier?“, sagte er kaum hörbar vor sich hin.
„Fühl dich wie zu Hause“, antwortete eine zarte Frauenstimme.
„Dieses Bett ist viel bequemer als deines“, schloss sich eine zweite verführerische Stimme an.
„Und warum solltest du nicht dieses Bett mit uns teilen“, erwiderte eine dritte Frauenstimme, die Jack endgültig die Sinne benebelte.
Mit einem leisen Knallen entzündeten sich Kerzen in dem Schlafzimmer und er blickte, drei fast halbnackte Frauen an. Die rechte hatte rotes gelocktes Haar, das ihr bis zur Hüfte reichte und sie rekelte sich exzessiv am Bettpfosten. Die Linke hatte schwarzes mittellanges Haar und sie tat es der Rothaarigen gleich. Blondes langes Haar zeigte diejenige in der Mitte, die inzwischen wie eine Katze auf allen Vieren auf ihn zukrabbelte. Die Blicke der Frauen erwärmten Jacks Gemüt. Eine sah hübscher aus als die andere und Jack wusste nicht, wo ihm der Kopf stand.
„Na kleiner Jack sollen wir dich zu einem Mann machen?“, sagte die Blonde und berührte sein Bein. Ein Kribbeln schoss durch ihn bis in seine Lenden, sodass er überall Gänsehaut bekam. Die beiden anderen Frauen waren mittlerweile auf dem Weg zu ihm und er war einfach hin und weg. Die Mittlere streifte über seine Hüfte und küsste zärtlich seinen Bauch und die Zwei, zu seiner Seite fingen an seine Arme zu küssen, um sich anschließend weiter hochzuarbeiten. Jeder klare Gedanke und jedes logische Denken schaltete von diesem Moment nicht mehr sein Gehirn. Jack stöhnte auf.
Das ist besser wie jeder Traum.
Er fühlte sich schwerelos getragen von einem Gefühl des absoluten Glückes. Die Blonde öffnete seine Hose und die Erregung war unübersehbar.
„Oh ja, Mädels“, sagte er stöhnend.
„Lasst ihn in Ruhe! Ihr Schlampen des Teufels!“
Die Stimme kannte Jack. Er schlug die Augen auf und blickte die drei Frauen an, die auf einmal unnatürlich lange Zähne hatten. Vor dem Bett sah er seinen untoten Freund, der ein Kruzifix in der Hand hielt. Fauchend zogen sich die teuflischen Weibsbilder zurück.
„Ach du heilige Scheiße!“, sagte Jack, als er sah wie die Frauen die geraden Wände hochkrabbelten und verschwanden.
„Freust du dich so mich zu sehen?“, sagte der lebende Tote und lächelte auf Jacks aufgeknöpfte Hose.
„So sehr jetzt auch wieder nicht.“ Er knöpfte die Hose zu. „Kein Wort zu Jenny.“
„Ich werde Schweigen wie ein Grab.“
„Was machst du eigentlich hier? Ich dachte, du wärst auf dem Friedhof geblieben? Obwohl ich dankbar bin, dass du da bist.“
„Ich konnte mir Denken, das du Probleme bekommst. Da mein Boss leicht in Flammen aufgegangen ist, war es für mich ein Leichtes dir zu folgen. Was durchaus in diesem Fall dein Glück war.“
Der Untote zwinkerte ihm zu, was komisch aussah, da das Lid zum Teil abgefault war.
„Ich stehe tief in deiner Schuld, doch müssen wir jetzt Jenny finden.“
„Ich weiß, wo Dracula seine Beute versteckt. Folg mir! Und übrigens hol das hier.“ Er schmiss Jack ein Kruzifix zu. „Ist das Einzige, was wirklich hilft bei diesen Vampiren.“
Der Untote führte Jack durch das Schloss hinunter ins Verlies. Die Wände waren modrig und feucht und es roch nach Schimmel. Als Jack in einem Käfig Jenny sah, fiel ihm ein Stein vom Herzen.
„He Jenny alles klar?“, fragte er und trat an das Gefängnis. Doch sie schien benommen zu sein. „Was ist mit ihr?“
„Er setzt sie immer unter einen Zauber, damit sie nicht so hysterisch sind. Es scheint den Geschmack des Blutes zu säuern.“
Gemeinsam öffneten sie den Käfig und Jack nahm Jenny auf den Arm. Zum Glück war an ihr nicht so viel dran, sonst hätte er dies nicht geschafft.
„Wir sollten uns jetzt beeilen. Es kann nicht mehr lange dauern, bis er unsere Anwesenheit bemerkt.“
„Sammy du enttäuschst mich. Denkst du ernsthaft das hier irgendetwas in meinem Schloss passiert von dem in nichts mitbekommen?“
Jack hätte fast vor Schreck Jenny fallen gelassen. Dracula saß genau vor ihnen auf der Treppe, obwohl noch im gleichen Augenblick keiner dort war. Er trug eine schwarze Jeans und einen schwarzen Rollkragenpullover. Das dunkle Haar hatte er nach hinten gestylt und die Hautfarbe war nicht so weiß, wie man es sich vorstellt. Äußerst charismatisch saß er mit übergeschlagenem Bein vor ihnen.
„Sammy, Sammy, Sammy“, Dracula schüttelte vorwurfsvoll den Kopf. „Ich glaube, ich muss dringend mit deinem Boss reden, so geht das nicht. Du spielst gegen die Regeln.“
„Du heißt ernsthaft Sammy?“, fragte Jack ohne den Ernst der Lage erkannt zu haben.
„Ich habe mir den Namen nicht gegeben“, verteidigte sich der Untote.
„Also meine Herren. Wir sollten hier nicht um einen Namen streiten. Vielmehr würde ich gerne mein Abendmahl nochmals in diesem Käfig sehen. Womöglich bin ich dann gewillt, dich wiederum auf deinen Friedhof gehen zu lassen und dir Bursche breche ich nicht das Genick, sondern überlasse dich meinen drei Frauen. Auf irgendeine Art haben sie Geschmack an dir gefunden. Somit hätte jeder, was er mag“, sagte Dracula, als wäre das alles selbstverständlich.
Jack überkam eine Gleichgültigkeit und er ergriff das Wort.
„Also pass mal auf, du gelackmeierter Affe in Schwarz. Du willst uns hier in der Tat vor die Wahl stellen, ob wir freiwillig sterben oder auf der Flucht? Dazu sage ich. Ich flüchte lieber. Was für eine Macht hast du denn großartig, außer eventuell noch ein paar Omis in der Geisterbahn zu erschrecken. Deswegen verdufte jetzt und lass mich gehen! Weil irgendwie zieht deine Show gerade nicht.“
Dracula blickte unter sich und für einen Hauch dachte Jack, dass diese Ansprache etwas brachte.
„Also wenn du das so sagst, bleibt mir nichts anderes übrig.“
Dracula hob den Kopf. Das Gesicht hatte sich in ein diabolisches verzehrt und die spitzen langen Zähne schienen zu blinken.
Falsche Worte.
Doch auf einmal hörte er einen Schrei.
„Wo ist der Mensch“, schallte unverkennbar die Stimme der Mumie den Gang hinunter.
Dracula blickte überrascht die Stufen hinauf, weil er nicht mit so etwas gerechnet hatte.
„Ich glaube, dein Boss ist sauer?“, sagte Jack zu Sammy.
„Das befürchte ich auch. Geh besser in Deckung.“
Die Mumie donnerte die Treppe hinab und hätte Dracula sich nicht in eine Fledermaus verwandelt, dann wäre er überrannt worden. Auf der letzten Stufe kam die Mumie ins Straucheln und stürzte gegen die Wand, welche unter dieser Wucht nachgab und ein Loch in die Freiheit zeigte. Jack schaltete umgehend. Die Mumie war sich noch am Sammeln, da schlüpfte er mit Jenny hinaus. Sammy folgte ihnen.
„Hier entlang Jack!“
Im Hintergrund hörten sie die Mumie vor Wut schreien, weil sie nicht sofort die Verfolgung aufnehmen konnte. Jack warf seine Freundin über den Rücken, so kam er leichter voran.
„Wir müssen uns beeilen, dort hinten ist der Ausgang.“ Sammy wies auf eine kleine Hütte. Jack schaute hinter sich und erkannte, dass mittlerweile jeder sie verfolgte. Zu einem, die Mumie und Dracula. Die drei Vampirfrauen, die sich um ihre Mahlzeit betrogen fühlten und dann noch die ganzen lebenden Toten, deren Ruhe er gestört hatte. Die Verfolger kamen immer Näher, doch die Hütte war rascher erreicht. Sammy öffnete die Tür.
„Schnell macht euch rein“, sagte er.
„Was ist mit dir?“
„Meine Welt ist hier, in eurer habe ich nichts zu suchen.“
„Ich danke dir vielmals mein Freund“, sagte Jack absolut ehrlich und Sammy ließ ein verfaultes Lächeln über die Lippen huschen.
„Eins noch Sammy. Wie bist du gestorben?“ Diese Frage brannte Jack die ganze Zeit im Kopf.
„Ich habe wohl zu viel geraucht.“ Sammy zwinkerte ihm zu und schloss die Tür. In der Hütte sah er den Wagen der Geisterbahn. Sofort setzte er sich mit Jenny hinein. Vor der Tür entstand ein höllischer Lärm und die Tür wurde aufgerissen. Jack schloss vor Angst die Augen, schließlich er rechnete damit, dass alle Monster über ihn herfielen. Aber das Gegenteil war der Fall. Es war leise und er hörte lediglich das Knattern des Gefährtes auf den Schienen. Vorsichtig öffnete er die Augen und erkannte das der Kutschennachbau langsam nach draußen fuhr an den Punkt, von dem sie gestartet waren. Jack lachte vor Erleichterung und Jenny kam zu sich.
„Was ist passiert?“, fragte sie, denn es schien so, als hätte sie von alledem nichts mitbekommen.
„Du hast dich so erschrocken, dass du ohnmächtig geworden bist.“
Die wahre Geschichte konnte er ihr unmöglich erzählen sonst hätte sie ihn für verrückt erklärt. Sie stiegen aus dem Wagen aus und Jack nahm Jenny bei der Hand.
„Was machen sie da?“
Es war der Jahrmarktbesitzer mit den falschen Zähnen.
„Wir haben eine Tour mit der Geisterbahn gemacht“, antwortete Jack überrascht.
„Können sie das Schild nicht lesen?“ Er deuten auf ein Hinweisschild das im Wortlaut „Außer Betrieb!“, zeigte.
„Das verstehe ich nicht. Da war doch ein Typ im Kassenhäuschen, der als Frankenstein verkleidet war und Igor, der die Tickets eingerissen hat.“ Jenny nickte zustimmend.
„Ja sicher Kleiner und Graf Dracula und die Mumie haben einen Wagen vor euch gesessen. Verschwindet hier!“
Verwirrt gingen Jack und Jenny weiter.
„Hey Junge da sind noch deine Kippen“, rief der Jahrmarktsbesitzer und hielt die Schachtel hoch.
„Ich bin Nichtraucher“, antwortete Jack, als er mit Jenny um die Ecke bog.
Der Jahrmarktsbesitzer stand bei der Geisterbahn, der Vollmond blickte hinter einer Wolke hervor und er lächelte.
„Ich liebe den Rummel an Halloween, da gibt es immer wieder Überraschungen“, sagte er und ließ ein Heulen los, wie es nur eine spezielle Wolfsart tat.