Red Riding Hood Company
Aus den Boxen drang in gemäßigtem Ton, Rage Against the Machine mit Freedom und fast schon im Rhythmus der Musik vernahm man das Vibrieren der Tätowiernadel. Leises Aufstöhnen ließ erahnen, das es nicht schmerzfrei oder der Typ einfach bloß ein Weichei war. Lola lächelte süffisant bei jedem Seufzer, etwas anders hatte sie nicht erwartet, von einem Typ der sich ein Herz, in dessen Mitte Mum geschrieben war, tätowieren ließ.
„So wird der unter keinen Umständen eine Frau bekommen“, dachte sie. Allerdings spielte ihre Meinung in solchen Dingen in keinster Weise eine Rolle, und da es nichts Anstößiges war und er bezahlte, machte sie den Job.
Lola hatte an diesem Tag eine schwarzgelackte Lederhose an, die hauteng an ihren langen und wohlgeformten Beinen anlag. Der schwarze Top trug dazu bei, dass ihr Kunde sie an diesem Tag erst einmal anstarrte und in ihm Träume weckte, die definitiv kein bisschen mit seiner Mutter zu tun hatten. Ihre Arme zeigten Tätowierungen, im Pin up style, was absolut zu ihr passte. Nichtsdestotrotz das Auffälligste an ihr stellten die roten Haare dar, die einen Rotton aufwiesen, welchen man bislang nie gesehen hatte. Das hatte ihr als Kind den Spitznamen Rotkäppchen eingebracht, und da sie damit aufwuchs, nannte sie ihr Tattoo-Studio ebenso. Nur auf Englisch, dies Klang schlichtweg besser. Red Riding Hood Tattoos. Der Laden lief gut und Lola konnte somit ihren Lebensunterhalt verdienen.
Draußen war es mittlerweile dunkel geworden. Sie beschäftigte sich in diesem Moment mit den letzten Schattierungen, ansonsten hätte sie mit Sicherheit das Augenpaar gesehen, dass zwischenzeitlich eine halbe Stunde gierig durch einen Spalt im Schaufenster blickte. Doch so beendete sie ihre Arbeit, schmierte das frischgestochene Tattoo mit Wundheilsalbe ein und bedeckte die Körperkunst mit Frischhaltefolie.
„So die Folie zwei Stunden drauf lassen und anschließend mit lauwarmem Wasser abspülen. Wichtig ist, dass du das Tattoo nicht mit einem Handtuch trockenreibst. Einfach nur mit Küchenrolle abtupfen und neu eincremen. Hier ist noch eine Tube Salbe. Ist im Preis mit inbegriffen.“
Lola zwinkerte ihrem Kunden zu.
„Danke! Und es sieht wirklich gut aus“, sagte der Mann stolz.
„Na hoffentlich betrachtet das deine Mutter genauso“, antwortete Lola und musste sich ein Lachen verbeißen. Erst als er den Laden verlassen hatte, ließ sie der Belustigung freien Lauf. Hinterher machte sie sauber und nahm sich zum Abschluss eine eiskalte Cola aus dem Kühlschrank und genoss eine Zigarette zum Feierabend.
An diesem Abend wollte sie noch bei ihrer Großmutter vorbeischauen, da sie Geburtstag hatte und so beließ Lola es bei einer Kippe. Sie schnappte sich ihre Lederjacke, auf deren Rücken ebenso ein Pin-up-Girl abgebildet war und ihren roten Motorradhelm. Gerade als sie draußen an der Tür stand und diese absperrte, hörte sie Schritte hinter sich. Sie fuhr herum und erkannte Sam einen Stammkunden von ihr. Sie hatte ihm einige Tattoos verpasst, das größte was sie ihm in die Haut gestochen hatte, war ein Wolfskopf auf seiner Brust. Sam war ein unscheinbarer Typ, dessen Geheimratsecken sich verdächtig Richtung Nacken bewegten. Er hatte ein Bäuchlein und war sogar ein Stück kleiner als Lola.
„Hallo Lola“, grüßte er sie mit seiner dünnen Stimme. Jede andere Frau hätte sich sofort umgedreht, jedoch Lola kannte ihn und er war eher einer der schüchternen Kerle.
„Hey Sam! Was gibt’s?“
„Ich dachte, du hättest geöffnet. Ich wollte mir neue Motive anschauen.“
„Ja gewöhnlich habe ich noch offen, aber ich muss heute zu meiner Großmutter. Die hat Geburtstag.“
„Oh ja. Die Familie geht selbstverständlich vor. Wann bist du wieder im Laden?“
„Komm doch Morgen herein. Ab 14 Uhr bin ich da.“
„Das werde ich Lola.“
„Also gut bis dann!“
„Bis Morgen und denk daran Großmütter lieben Pralinen“, sagte er mit einem beängstigenden Lächeln, bloß Lola erkannte dies nicht so.
Sie setzte sich auf ihre rote Ducati 1198S und zog sich den Helm über. Mit einem dröhnenden Krachen ließ sie ihre Maschine an und fuhr los. Pralinen. Das war eine verdammt gute Idee und sie machte den Umweg.
Was Lola nicht wusste, dass dies alles zu Sams Plan gehörte. Hätte sie nur ein einziges Mal in die Wohnung von ihm geblickt, wäret ihr aufgefallen, dass sie es mit einem Psychopaten zu tun hatte. Sein Zuhause war mit Fotos von ihr tapeziert. Seit Jahren verfolgt er Lola auf Schritt und Tritt. Sam hat es sogar, soweit geschafft, dass er Aufnahmen von ihr hatte, wie Gott sie schuf und wie er sich diesen Bildern gegenüber verhielt, braucht man nicht genau zu erwähnen. Vom ersten Tattoo an war er verrückt nach ihr. Er himmelte sie krankhaft an und Lola hatte bisher kein einziges Mal etwas davon bemerkt. Wenn sie mal das Gefühl hatte, dass sich ihr die Nackenhaare aufstellten, weil sie sich beobachtet fühlte und nichts sah, dann war es Sam, der aus einem Versteck seine Augen auf sie richtete. Lange hatte er gegrübelt, wie er es am besten anstellen würde und heute war es so weit. Er wollte sich Lola zu eigen machen und hierzu benötigte er ihre Großmutter. Während Lola Pralinen besorgte verschaffte sich Sam Zugang in die Wohnung ihrer Oma und überwältigte sie. Er fesselte die rüstige Rentnerin am Bett und knebelte sie. Er hatte soeben alles vorbereitet, da vernahm er schon die Maschine von seiner Angebetenen.
„Sie kommt!“, sagte er erregt und sein Puls schlug ihm bis zum Hals.
Im Hintergrund stöhnte leise die Großmutter.
„Sei bloß still Omi, sonst endet das noch hässlich.“
Er deckte sie mit einer Decke zu.
Sam versteckte sich in einem Schrank. Er hielt den Atem an, als die Haustür quietschte. Lola hatte selbstverständlich einen Haustürschlüssel.
„Oma?“, hörte man sie sanft rufen. „Wo bist du?“
Die Schlafzimmertür öffnete sich und der Lichtschein fiel von draußen hinein. Sam schaute zwischen dem Spalt der Schranktür zu.
Lola hatte ein ungutes Gefühl, aber dennoch ging sie zum Bett. „Oma?“ Sie zog die Bettdecke weg und blickte in die groß aufgerissenen Augen ihrer Großmutter, ihr Mund war weit geöffnet vom Knebel. Sofort entfernte Lola diesen. „Bring dich in Sicherheit“, krächzte die alte Dame, doch Lola spürte nur noch einen heftigen Schlag in der Rippengegend und verlor das Bewusstsein.
Sam hatte alles bis ins letzte Detail geplant und es lief, wie er wollte.
Als sie am Bett stand und die Decke wegzog, hatte er sich rausgeschlichen und sich von hinten genähert, er zog eine Elektroschockpistole heraus und setzte sie damit außer Gefecht.
Lola öffnete die Augen und sah verschwommen vor sich einen Wolf und der kam ihr beängstigend bekannt vor. Es braucht kurz, bis sie klarer denken konnte und sie genau wusste, was vor sich ging. Sie war an einem Stuhl gefesselt und hatte bis auf ihre Unterwäsche nichts mehr an ihrem Leib. Vor ihr richtete Sam sich auf, der ebenfalls nur in einer Unterhose gekleidet war.
„Was ist mit meiner Oma?“
„Keine Angst mein Schatz es wird ihr nix passieren, solange du dich fügst. Sieh nur sie ist noch quietschlebendig.“ Er zeigte auf das Bett, indem die Großmutter lag und erneut geknebelt war.
„Was möchtest du Sam?“
„Ich will dich!“
Er kam ganz Nahe an Lola ran und schnüffelte an ihr. Ihr stieg der Schweißgeruch von ihm entgegen und sie musste sich beherrschen, um Brechreiz zu unterdrücken.
„Weißt du Lola ich, warte auf diesen Moment schon lange. Seit fünf Jahren komme ich zu dir und lasse mich tätowieren, diese Schmerzen habe ich nur ertragen, weil sie von dir kamen. Jetzt will ich dies schlicht zurückgeben. Das klingt doch fair. Ich will dich.“
„Du wirst mich niemals haben.“
„Na, das würde ich mir noch einmal überlegen. Sonst wird deiner Oma ruck, zuck ein Finger fehlen.“
Blitzschnell bewegte er sich zur Großmutter, schnappte sich den Zeigefinger und eine Geflügelschere, die er auf dem Bett bereitgelegt hatte. Die Alte Frau stöhnte panisch auf.
„Nein nicht. Ich flehe dich an lass sie in Ruhe.“
„Ich höre?“, sagte er abwartend.
„Ich will dich. Jetzt und hier. Ich habe auf einen Mann wie dich gewartet.“
Sie hatte es geschafft. Sam ließ von der Großmutter ab.
„Das hört sich doch viel besser an.“
Sam hielt Lola den Kopf fest und leckte ihr über die Wange. Er erzitterte vor Erregung.
„Du schmeckst so gut.“ Er streichelte ihre Brüste. Lola erschauderte vor Ekel, jedoch dann sah sie etwas, das Hoffnung weckte.
„Sam“, sagte sie verführerisch.
„Ja meine Geliebte?“
„Zieh mir das Höschen aus und besorg es mir.“
Sam war im ersten Moment irritiert, aber dann überkam es ihm vollauf.
„Wie du willst Lola.“
Er streifte zaghaft den Slip hinunter und die Gier in seine Augen war nicht wirklich zu übersehen. In dem Augenblick, als er ihr in den Schritt greifen wollte, ließ ein dumpfer Schlag sein Bewusstsein taumeln.
Was Lola kurz davor erblickt hatte, war ihr Bruder Tom, der sich in das Zimmer schlich, nur konnte er kaum unbemerkt an Sam herankommen. So beschloss sie ihn abzulenken, was ihr auf vornehmlich gelang. Tom schaffte es hinter Sam und zog ihm einen Stock über den Schädel. Er befreite Lola und seine Großmutter. Sie fesselten Sam am Stuhl und warteten geduldig, bis er zu sich kam.
„Oh man scheiße was war das?“, stöhnte er.
„Das war ein Knüppel auf deinem Kopf du krankes Arschloch“, sagte Lola und trat ihm in die Weichteile. Sam schrie auf.
„Nein nicht. Das war doch nicht so gemeint.“
„Oh man immer das gleiche Gewimmer von euch Drecksäcken.“
„Was heißt immer das Gleiche?“, jammerte Sam verwirrt.
„Zuerst wollt ihr euch an mir vergehen und anschließend, wenn es darum geht, eure Haut zu retten bettelt ihr.“
Lola ließ die flache Hand in das Gesicht von Sam rauschen.
„Ich versteh nicht, was du meinst?“
„Nicht nur das du ein Scheiß Vergewaltiger bist. Du bist zudem noch total beschränkt. Wir haben dich schon eine ganze Weile im Auge, dein Verhalten war so auffällig, bloß wussten wir nicht, wann du zuschlagen wirst. Als ich dich heute vor dem Laden traf, wurde mir klar das du irgendetwas im Sinn führst. Ich verständigte meinen Bruder. Dass du ausgerechnet bei unserer Großmutter auftauchst, war überraschend, aber sie kennt sich genauso gut aus mit solchen, wie dir, schließlich hat sie damit begonnen.“
„Mit was?“
„Wir jagen Vergewaltiger. Darf ich vorstellen Tom Jäger, meine Großmutter Maria Jäger und meine Wenigkeit Lola Jäger. Der Name passt hervorragend zu dem was wir machen und unser Motto heißt, legt dich nicht mit einem Jäger an. Eins sei dir gewiss. Jeder, der diesen Leitspruch hört, erlebt den nächsten Tag nicht mehr in Freiheit. Du wirst der Polizei alles gestehen. Wenn du das nicht tust, kommen wir zurück und glaub mir, du willst uns nicht noch einmal sehen. Hast du verstanden?“
Sam fing an, bitterlich zu weinen.
„Bitte nicht“, jammerte er.
„Nimm es wie ein Mann“, sagte Lola und wog die Elektroschockpistole in der Hand. „Ich habe halt eine elektrisierende Anziehung auf Männer.“
Sie rammte ihm die Pistole in den Schritt und ließ 50.000 Volt durch seinen Körper gleiten. Bewusstlos sackte er zusammen.
Tom nahm einen Benzinkanister, den er vor der Haustür positioniert hatte, und schüttete das Benzin in der Wohnung aus. Sie verließen die Räumlichkeiten und standen vor der Haustür.
„Tja Omi ich glaube, du brauchst eine neue Bleibe. Hier ist es nicht mehr sicher“, bemerkte Lola und zündete ein Streichholz an.
„Einen Tapetenwechsel hat noch niemanden geschadet“, antwortete die Großmutter, als die Flammen die Nacht erhellten.
Die Feuerwehr hatte den Brand relativ zügig unter Kontrolle, nur eines verwirrte sie. Nämlich der Mann, der bewusstlos und gefesselt an einem Stuhl neben dem Haus stand. Die Polizei nahm ihn in Gewahrsam und später stellte sich heraus, das er ein Vergewaltiger war, der in zehn Fällen gesucht wurde. Damit hatte die Gerechtigkeit gesiegt und zu der Red Riding Hood Company bleibt nur zu sagen. Und wenn sie nicht gestorben sind, dann überführen sie noch heute Vergewaltiger.